Eine Liebe für den Gaumen,
wahrlich ist das eine Liebesgeschichte, wenngleich eine etwas ungewöhnliche. Denn wenn man etwas liebt, behandelt man es behutsam, geht besonders rücksichtsvoll und sanft damit um. Bei Marc, dem Aperitif-Apfelessig-Bauern verhält sich das zumindest im ersten Jahr des langwierigen Herstellungsverfahrens völlig anders.
Meist noch bei Eiseskälte rückt er seinen bis zu 70 Jahren alten Apfelbäumen, vornehmlich Hochstämmen heimischer Streuobstwiesen mit Astschere und Kettensäge zu Leibe. Gegen Mitte bis Ende Oktober schüttelt er sie und schlägt mit langen Stangen die letzten sonnenverwöhnten, vollreifen Äpfel alter Sorten vom Baum.
In teils kniehohen, vom Morgentau noch feuchten Gras, beginnt dann die eigentliche Arbeit. Sorgfältig wird mit ein paar Helfern von Hand zusammengelesen, was die Ernte hergibt; Faules, wie zu Großvaters Zeiten an den Stamm – die Guten in die Jutesäcke seines Vaters. Fein säuberlich am Straßenrand abgestellt geht’s zur Moste.
Unser Mostobst verbleibt maximal 2-3 Tage in den Säcken, so Marc Boehringer; dann wird gemostet und wieder sorgfältig von Hand verlesen. Alles was leicht braun ist und Dellen hat muß raus, weiß einer seiner langjährigen Helfer zu berichten. Man sollte es kaum glauben, selbst auf den richtigen Zeitpunkt, die Qualität der Moste sowie das Pressverfahren kommt es an. „Viele Jahre sind vergangen, bis ich den richtigen Partner gefunden habe“ läßt mich der Aperitif-Apfelessig-Sommelier wissen.
Mit Wolfgang Häußermann in einem kleinen Weiler 20 Kilometer vor den Toren Stuttgarts braucht’s nicht viel Worte; die beiden verstehen sich auch so, was manch einen Helfer immer wieder staunen läßt. Hand in Hand werden die Äpfel zu goldbraunem Süßmost gepresst und vor Ort in große Tanks gepumpt. Wolfgang, ein Obstbauer und Schnapsbrenner in den besten Jahren ist mit seinen tiefen, alten Gewölbekellern auch Garant für einen äußerst feinen, absolut milden Most. „Ich schwefle meinen Most und gebe je nach zu erwartendem Ergebnis auch traditionell Birnen zu; Marc hingegen tut das nicht. Das unterscheidet uns im Wesentlichen“; die Liebe zum Obst und Saft steht beiden förmlich ins Gesicht geschrieben.
Erst nach gut einem Jahr wird der vergorene Saft, jetzt Most von der Hefe abgezogen und in kleine Fässer umgefüllt. Durch hinzufügen einer über 80 Jahre alten Kultur aus Essigsäurebakterien, der Essigmutter, wird der nun alkoholhaltige, bernsteinklare Most der natürlichen Fermentierung überlassen. Ich gebe es gerne zu, allein der Anblick der gallertartigen, klitschigen Masse und das Teilen dieses Kuchens hat mich Überwindung gekostest. Den strengen Essiggeruch an meinen Händen habe ich trotz mehrmaliger, gründlicher Wäsche mit nach Hause genommen; ein Erlebnis der besonderen Art.
Das sollte dann auch das letzte Mal und für längere Zeit gewesen sein, der sich nun selbst überlassenen Essigproduktion handwerklich zu begegnen. Die Herstellung von Aperitif-Apfelessig mit traditionellen Orléansverfahren braucht Ruhe und viel Zeit. Jetzt entscheidet allein das Mikroklima des Gewölbes. Zeit, die Marc nutzt, um sich seinen Beeren und Kräutern zu widmen; zu experimentieren, dem Gaumen und allen Sinnen freien Lauf zu lassen.
In seinem kleinen Schopf in Fellbach-Schmiden sieht’s aus wie in einer alten Apotheke, gar Hexenküche. Aus unzähligen Gläsern duften die Ansätze versetzt mit vollreifen Früchten, Gemüse und Kräutern eigener Gärten. Feine Kräuteraromen lassen den bis dato leicht beißenden Geruch des Ursprungsessigs nahezu vergessen. Jetzt, im siebten so verflixten Jahr beginnt das eigentliche Liebesspiel. Auf die Komposition, die wohl gehütete Rezeptur kommt es an. Das Gaumen- und Fingerspiel, vergleichbar dem Allegro vollenden die Ode an die Liebe.
Im nunmehr achten Jahr von Hand in kleine Flaschen abgefüllt bemerkt der Gourmet erstmals das außergewöhnliche Farbenspiel des naturtrüben, ungefilterten Aperitif-Apfelessigs. Von tief rot über cognac- bis bernsteinfarben reicht das Feuerwerk im tiefen Stand der Herbstsonne.
Abgeschaut hat sich der sympathische Mittvierziger die hohe Kunst des rein organisch hergestellten Aperitif-Apfelessigs von seinem Vater und Großvater. Die eigene Sensibilisierung in Sachen Lebensmittelunverträglichkeit und die unzähligen Geschäftsessen haben den ehemaligen Banker und Unternehmensberater zurück auf den Boden der Tatsachen gebracht. Seit seinem vierten Lebensjahr sind ihm die steinernen Essigstanden und lediglich mit einem Holzdeckel abgedeckt im tiefen, leicht feuchten Gewölbe seines Großvaters vertraut.
Beim traditionellen Helfer-Vesper erfahre ich, dass die Herstellung von Aperitif-Apfelessig auch einige Risiken birgt und nicht jeder Jahrgang gleich schmeckt. Viel Erfahrung und die notwendige Geduld sind das Handwerkszeug des Essigbauers.
Auf unverkrampfte Weise habe ich Marc als Perfektionisten kennenlernen dürfen; ein „Spinner“ der besonderen Art. Jede Charge wird sorgfältig reflektiert, die Geschmacksnuancen der Nachfrage hauptsächlich regional verarbeitender Betriebe angepasst.
„Mein Aperitif-Apfelessig richtet sich vornehmlich an die Gaumen und Freunde des guten Geschmacks; weg vom eingezuckerten Balsamico und das, was uns im Supermarkt und Delikatessenhandel unter „bio“ untergejubelt wird. Jene leidenschaftliche Genussmenschen, die Wert auf verantwortungsvolles Genießen und die Nachvollziehbarkeit der Produkte legen.“
Peter, ein rüstiger Rentner erklärt es mir mit seinen eigenen Worten: „Marc will die Handwerkskunst für den Gaumen erlebbar machen.“ Essig ist nicht gleich Essig; auch das habe ich zwischenzeitlich gelernt. „Wir wollen uns auf das Wesentliche konzentrieren, nämlich ausschließlich auf die Qualität der regionalen Rohstoffe.“ so Marc weiter, während er uns ein Glas seines herrlichen Mostes einschenkt.
So sitzt er manche Stunde bei seinen Kunden in der Küche und philosophiert über die regionale Verantwortung bei der Zubereitung von Speisen, die vielseitigen Einsatzmöglichkeiten auf und rund um den Teller. Immer im Bestreben, noch besser zu werden. Bekanntlich geht die Liebe doch durch den Magen.
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